Antwort der Bundesarbeitsgemeinschaft der WfbM
- norman-the-man
- 3. Apr. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Stellungnahme I Stand: 17. Februar 2022
Verfasser|in: Kathrin Völker (Abteilung: Geschäftsführung)
BAG WfbM | Sonnemannstraße 5 | 60314 Frankfurt a. M. | www.bagwfbm.de
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Stellungnahme der BAG WfbM zu Falschaussagen zu Werkstätten
in der Presse
Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben
Selbstverständlich werden in Werkstätten Fairtrade-Standards, Menschenrechte und die Vorgaben der Sozialgesetzgebung eingehalten. Unternehmen, die mit Werkstätten kooperieren, erfüllen somit die Regelungen des Lieferkettengesetzes. Menschen mit Behinderungen in Werkstätten verfügen über ein existenzsicherndes Einkommen, können streiken und können auch Mitglied in einer Gewerkschaft sein.
Nachteilsausgleich
Werkstätten für behinderte Menschen sind ein wichtiger Bestandteil des Sozialsystems in Deutschland. Sie gestalten Arbeit so, dass Menschen mit Behinderungen an verschiedenen Orten und in vielfältigen Unterstützungs- und Bildungsangeboten am Arbeitsleben teilhaben können. Sie verfolgen dabei keinen Selbstzweck, sondern erbringen einen in der Sozialgesetzgebung verankerten Nachteilsausgleich für Menschen mit Behinderungen.
Werkstätten sind keine Erwerbsbetriebe
Nicht das wirtschaftliche Ergebnis steht bei der Werkstattleistung im Vordergrund, sondern die berufliche Entwicklung durch individuell angepasste Arbeit und Beschäftigung sowie arbeitsbegleitende Förder-, Bildungs- und Therapiemaßnahmen. Im Mittelpunkt steht also nicht das Erreichen eines bestimmten Leistungsziels, sondern die Erhaltung und Weiterentwicklung der Fähigkeiten und Sozialkompetenzen der jeweiligen Person.
Werkstätten sind Sozialunternehmen
Die Professionalisierung der Arbeitsangebote in Werkstätten findet kontinuierlich statt, nur so können sie gute Arbeitsmöglichkeiten anbieten. Die Sparten, in denen sich Werkstätten als Sozialunternehmen aufstellen, sind so vielfältig wie die des allgemeinen Arbeitsmarktes und umfassen auch sozialraumorientierte Konzepte. Einen Großteil des Umsatzes erwirtschaften Werkstätten mit Lohn- und Auftragsfertigung sowie Dienstleistungen für industrielle oder öffentliche Auftraggeber. Weitere Umsätze erzielen sie durch die Herstellung und den Vertrieb von Eigenprodukten.
Einkommen
Werkstattbeschäftigte haben einen Anspruch darauf, dass das von ihnen erzielte Ergebnis
aus der wirtschaftlichen Tätigkeit als Arbeitsentgelt an sie ausbezahlt wird. Das ausbezahlte Entgelt in Werkstätten ist niedrig. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in Werkstätten keine Erwerbsarbeit stattfindet. Aufgrund des arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses haben Werkstattbeschäftigte derzeit keinen Anspruch auf Mindestlohn. Sie haben aber genau wie jeder andere Bürger Anspruch auf zusätzliche existenzsichernde Leistungen des Staates und verfügen somit grundsätzlich über ein existenzsicherndes Einkommen.
Die BAG WfbM setzt sich bereits seit mehreren Jahren für eine spürbare und nachhaltige Verbesserung der Einkommenssituation von Werkstattbeschäftigten ein. Die derzeitige Gestaltung des gesetzlichen Systems ermöglicht es nicht, dass Werkstätten ohne Gesetzesänderungen und weitere staatliche Unterstützungen die Einkommenssituation der Werkstattbeschäftigten umfassend verbessern könnten.
Der alleinige Ruf nach Einführung des Mindestlohns in Werkstätten greift zu kurz, um eine umfassende Verbesserung der Einkommenssituation von Werkstattbeschäftigten zu bewirken. Vielmehr muss eine detaillierte Betrachtung der geltenden Regelungen in den Sozialgesetzbüchern erfolgen, um ein zukunftsfähiges Entgeltsystem für alle Werkstattbeschäftigte zu schaffen.
Die zentrale Frage lautet: Wie kann es gelingen, dass die Menschen, die in den Werkstätten arbeiten, aber dabei auch begleitet und gefördert werden, ein auskömmliches Einkommen erhalten? Die BAG WfbM arbeitet gemeinsam mit ihren Mitgliedern an einer Antwort auf diese Frage. Sie ist auch in der Steuerungsgruppe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vertreten, die eine Studie begleitet, die aktuell das Entgeltsystem prüft und Reformvorschläge unterbreiten soll. Weiterhin wird im Zuge des Forschungsprojektes in den Blick genommen, welche Barrieren Menschen mit Behinderungen davon abhalten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, statt in einer Werkstatt tätig zu sein. Auch diese Fragestellung muss bei einer möglichen Neugestaltung des Entgeltsystems mitbedacht werden.
Die BAG WfbM setzt sich für eine Reform des Entgeltsystems ein, bei der gewissenhaft und umsichtig gehandelt wird und mit den Werkstattbeschäftigten gesprochen wird – nicht über sie. Nur kann es gelingen, ein auskömmliches, transparentes und nachhaltiges Entgeltsystems im Interesse der Menschen in den Werkstätten zu erhalten.
Werkstattbeschäftigte haben Gewerkschaftsrechte
Werkstattbeschäftigte können sich gewerkschaftlich organisieren und tun dies auch. Sie haben wie jede andere Person in Deutschland grundsätzlich das Recht, zu streiken. Aber: Die Gewerkschaften haben wenig Interesse an diesem Personenkreis und die Höhe der Werkstattentgelte ist keine Verhandlungssache. Was die Werkstätten auszahlen, ist streng gesetzlich geregelt. Wenn es darum geht, wie das Ergebnis verteilt wird, ist der Werkstattrat
(die Selbstvertretung der Werkstattbeschäftigten) eingebunden.
Werkstattbeschäftigte
In Werkstätten arbeiten Menschen, die voll erwerbsgemindert sind und aufgrund ihrer reduzierten Leistungsfähigkeit in der Regel keinen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erhalten.
Die Beschäftigung in der Werkstatt hängt nicht von der Leistungsfähigkeit des Menschen mit Behinderungen ab. Die dort Beschäftigten sind daher keine Arbeitnehmer*innen. Um den[1]noch alle Arbeitsschutzrechte garantieren zu können, hat der Gesetzgeber ihnen den „arbeitnehmerähnlichen“ Rechtsstatus verliehen. Das heißt, sie haben die Schutzrechte von Arbeitnehmer*innen, aber nicht deren Pflichten. So haben sie zum Beispiel Anspruch auf Urlaub, Mutterschutz oder das Recht auf Teilzeit. Sie können jedoch nicht gekündigt oder abgemahnt werden und sie haben keine Leistungsverpflichtung, wie es sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt.
Beschäftigte einer Werkstatt haben Anspruch auf umfangreiche Betreuungs-, Förderungs und Therapieleistungen. Diese gehen über die Beschäftigungs- und Bildungsmaßnahmen hinaus und umfassen auch Freizeitangebote, sozial-psychiatrische Angebote, Beratungen, Kultur, Sport etc. Dies trägt in erheblichem Maße dazu bei, dass der Mehrwert für die Menschen weit über den eines Arbeitsplatzes hinausgeht. Damit erfüllen Werkstätten eine Vielzahl von Forderungen der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK). Werkstätten für behinderte Menschen fördern durch Arbeit und sie tun dies ohne zeitliche Beschränkung. Das heißt, der Mensch erhält so lange die Werkstattleistung, solange er sie benötigt, wünscht und leistungsberechtigt ist.
Werkstätten haben mehrere Aufgaben
Auf der einen Seite bieten Werkstätten Qualifizierung, Förderung und Angebote zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie Unterstützungsleistungen wie Assistenz, Betreuung und Pflege. Auf der anderen Seite müssen Werkstätten aber auch ein wirtschaftliches Arbeitsergebnis erzielen, das an die Werkstattbeschäftigten ausgezahlt werden muss. Auch die Ermöglichung von Übergängen in Unternehmen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt für die Menschen, die dies wünschen, gehört zu den Aufgaben der Werkstätten. Dies ist aber nicht, wie häufig falsch dargestellt, die Hauptaufgabe der Werkstätten. Werkstätten leisten sehr viel mehr, als „nur“ den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt
Der Wechsel aus der Werkstatt auf den Arbeitsmarkt ist in der Tat selten. Dies liegt unter anderem daran, dass in der Werkstatt Menschen arbeiten, die eine dauerhafte volle Erwerbsminderung haben. Im Unterschied zu beruflichen Reha-Einrichtungen, die zeitlich befristet Menschen rehabilitieren oder Ausbildungen für Menschen mit Behinderungen anbieten, ist die Werkstatt in der Regel auf unbestimmte Zeit angelegt. Die Arbeits- und Rehabilitationsleistung der Werkstatt zielt auf Erhalt oder Steigerung der Leistungsfähigkeit und der Persönlichkeitsentwicklung hin, nicht für alle Beschäftigte auf das Erreichen der Erwerbsfähigkeit. Dies ist nur für einen kleinen Personenkreis möglich.
Und: Eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist nicht nur eine Frage des Könnens, sondern auch des Wollens. Viele Beschäftigte fühlen sich in der Werkstatt wohl und wertgeschätzt und haben dort die Arbeit, die zu ihren individuellen Möglichkeiten passt. klar ist aber auch: Der Arbeitsmarkt, die Gesellschaft, der Staat und auch die Werkstätten müssen noch konsequenter gemeinsam daran arbeiten, Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu etablieren. Damit Inklusion gelingt, bedarf es eines gesellschaftlichen Umdenkens.
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