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Abschaffung der WfbMs

Aktualisiert: 25. Sept. 2021

Der Werkstattrat der Ulrichswerkstätte Aichach schreibt an die sozialpolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament


Sehr geehrte Frau Langensiepen,

nachdem wir ihre Sichtweise zum Thema Werkstätten für Menschen mit Behinderung

zur Kenntnis genommen haben, ist es uns sehr wichtig, eine Stellungnahme dazu

abzugeben.

Wir sind Werkstatträte und Frauenbeauftragte in einer WfbM.

Ihre Meinung zu Arbeitsstätten wie der unseren haben wir mit unseren Kollegen

diskutiert und ihre Antworten dazu abgefragt.

In Folge dazu möchten wir ihnen unsere Stellungnahme mitteilen:

In den mit ihnen geführten Interviews, Frau Langensiepen, erzählen sie immer wieder

von negativen Erlebnissen in ihrem Alltag, die sie auf ihre Behinderung zurückführen.

Wir denken: Negative Erfahrungen immer nur auf eine Behinderung zurückzuführen,

ist nicht richtig.

Jeder Mensch mit und ohne Behinderung, macht auch mal negative Erfahrungen!

Und nun zu unserem eigentlichen Thema:

Die Zukunft für Werkstätten für Menschen mit Behinderung

Aus unserer Sicht leisten wir an unseren Arbeitsplätzen einen wichtigen

gesellschaftlichen Beitrag.

Wir beliefern die unterschiedlichsten Firmen mit unseren Arbeitsprodukten.

Qualitätsarbeit ist für uns kein leeres Versprechen, sondern eine

Selbstverständlichkeit.

Wir haben in unserer WfbM eine große Auswahl an Bildungsmöglichkeiten,

die jedem von uns angeboten werden.

Wir haben Arbeitsplätze, an denen wir selbstständig arbeiten können und unseren

Arbeitsalltag als vollwertige Mitarbeiter erleben.

Wir schätzen dabei auch die Unterstützung, die uns zur Verfügung steht,

wenn sie notwendig wird.

Wer von uns Interesse bekundet, hat die Möglichkeit auf einem Außenarbeitsplatz in

einer Firma des ersten Arbeitsmarkts in Vollzeit oder Teilzeit zu arbeiten. Der

Inklusionsbeauftragte unserer Werkstätte kann jederzeit dazu angesprochen werden. Manche unserer Kollegen sind durch einen Außenarbeitsplatz in eine Anstellung auf

dem 1. Arbeitsmarkt übernommen worden.

Dies ist aber nur für einige von uns erstrebenswert!

Umgekehrt gibt es nicht wenige Kollegen, die nach sehr negativen Erfahrungen auf

dem ersten Arbeitsmarkt in die WfbM kamen und sich dort in wertschätzender

Atmosphäre psychisch wieder stabilisieren konnten.

Keiner von uns wurde gezwungen, in einer WfbM zu arbeiten und

die meisten von uns gehen mit Freude und Engagement an ihren Arbeitsplatz.

Wir wollen nicht mit Unterstützung an einem Pseudo-Arbeitsplatz auf dem

1. Arbeitsmarkt arbeiten, sondern selbständige Arbeit leisten,

die an unseren Arbeitsplätzen möglich ist.

Wir arbeiten auf Augenhöhe mit unseren Kollegen und wir schätzen es,

freundschaftliche Kontakte pflegen zu können.

Viele unserer Kollegen treffen sich morgens schon lange vor Arbeitsbeginn an der

Werkstätte.

Das sehen wir sonst bei keiner anderen Firma!

Viele von uns wohnen selbstständig oder in Wohngemeinschaften.

Wir sind in das öffentliche Leben unseres Wohnorts und darüber hinaus integriert.

Auch an Sportveranstaltungen nehmen viele unserer Kollegen gerne teil.

Unterstützung zur Teilhabe gibt es für diejenigen von uns, die sie benötigen.

Unsere Arbeit als Werkstattrat oder Frauenbeauftragte wird von unseren

Vorgesetzten respektiert. Wir haben regelmäßige Konferenzen mit dem Sozialdienst,

dem Einrichtungsleiter, der Geschäftsführung. Wir werden zu Fragen der

Weiterentwicklung, der Teilhabe, jetzt zu Corona- Strategien gehört. Mitwirkung und

Mitbestimmung werden auch von den Vorgesetzten ernst genommen.

Die negativen Erfahrungen, die sie bei Gesprächen mit WfbM -Beschäftigten und

deren Vorgesetzten gemacht haben, sind vielleicht in einer schlecht geführten

Werkstätte begründet?

Eine gut geführte WfbM wird immer Teilhabe bedenken.

Coronabedingt sind unsere Aktionen zur Zeit begrenzt, werden aber sobald wie

möglich wieder fortgesetzt.

Zum Beispiel haben wir vor der letzten Kreistagswahl Politiker aus allen Parteien in

unsere Werkstätte zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Bei dieser Veranstaltung

waren circa 200 Personen anwesend. Die Organisation lag in der Verantwortung von

uns Werkstatträten sowie der Frauenbeauftragten.

Ein Besuchstermin unserer Beschäftigten im Bayerischen Landtag in München

musste leider coronabedingt abgesagt werden, wird aber sobald wie möglich

nachgeholt.

Wenn Sie nun dafür eintreten, dass Werkstätten für Menschen mit Behinderung

keine Zukunft haben sollen, dann machen wir sie darauf aufmerksam, dass sie damit

n i c h t u n s e r e Interessen vertreten!!!!

Sie agieren scheinbar aus dem Blickwinkel eines Menschen mit einer

Körperbehinderung und Studium.

Unser Eindruck ist:

Sie respektieren nicht die Belange von Menschen mit Lernschwächen, geistigen oder

psychischen Behinderungen.Sie respektieren nicht unsere Arbeitsleistung, weil scheinbar in ihren Augen nur der

erste Arbeitsmarkt der richtige Weg ist.

Das empfinden wir als diskriminierend!

Frage: Wieviele Menschen mit geistiger oder psychischer Beeinträchtigung haben

einen Arbeitsplatz im EU-Parlament?

Wenn sie sich für unsere Belange einsetzen wollen, dann sorgen sie dafür, dass die

WfbM finanziell in die Lage versetzt werden, Mindestlöhne auszuzahlen.

Es ist kein böser Wille, dass unser Lohn nicht unserer Arbeitsleistung entspricht. Er

wird schließlich aus den Arbeitsergebnissen der Werkstätten bezahlt.

Unsere Kunden sind Firmen aus der Industrie, Behörden, Vereine etc.

Die Bezahlung konkurriert vor allem im Montagebereich mit den Angeboten aus

Billiglohnländern oder mit der Automatisierung.

Wir können hier nur mit Qualität punkten.

Deshalb unsere Bitte an sie:

Ihr Einsatz für eine Entlohnung, die unserer Arbeitsleistung entspricht, wäre unser

Wunsch,

nicht aber die Abschaffung von Arbeitsplätzen, die uns sehr wichtig sind!!

Mit freundlichen Grüßen

Benjamin Mutzbauer Michael Ruzicka Sibylle Glöckner

2 Werkstattrat, Werkstattratsvorsitzender Werkstatträtin

Schriftführer

Claudia Herrmann Amelie Filippi

Frauenbeauftragte Frauenbeauftragte

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